Personalisierte Medizin
Maßgeschneiderte Arznei per Digitaldruck: eine medizinisch-technische Revolution in 3D
Beim Stichwort „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ denken viele zuerst an Video-Sprechstunden oder die elektronische Patientenakte. Aber die Möglichkeiten der Technologie gehen noch viel weiter. So hat sich die DiHeSys Digital-Health-Systems GmbH aus Schwäbisch Gmünd auf den Weg gemacht, die Arzneimittelherstellung per Digitaldruck zu revolutionieren. Für die Personalisierte Medizin ist dies ein Meilenstein.
Jeder Mensch ist einzigartig – seine Lebenssituation, seine Krankheitshistorie, seine genetischen Anlagen. Größe, Alter, Gewicht und Geschlecht sind einige von vielen weiteren Unterscheidungsmerkmalen. Dennoch bekommen wir alle bei einer bestimmten Erkrankung oftmals das gleiche Medikament in der gleichen Dosierung. Ein Missstand, dem die Personalisierte Medizin begegnet, indem sie mit ihren maßgeschneiderten Therapien die unterschiedlichen Merkmale berücksichtigt. Dazu gehört auch die individuelle Dosierung von Arzneimitteln.
„Die Wirkung eines Arzneistoffs entsteht dadurch, dass es so eingesetzt wird, dass ein bestimmter Blutspiegel erreicht wird – also die Konzentration des Wirkstoffs im Blut zu einem bestimmten Zeitpunkt am Wirkort vorliegt“, erläutert Prof. Dr. Gerald Huber, Executive Advisor bei DiHeSys. „Dabei hängt es natürlich davon ab, wie alt die Person ist, welches Geschlecht und welchen Nieren- und Leberstatus sie hat. Davon hängt wiederum ab, wie schnell der Wirkstoff aus dem Körper ausgeschwemmt wird.“ Bei der Personalisierten Medizin wird der Blutspiegel durch eine gezielte Arzneimitteldosierung individuell nach diesen Faktoren eingestellt. „Hierdurch können die starken Nebenwirkungen, die insbesondere bei Therapien gegen schwere Erkrankungen wie Krebs auftreten, deutlich reduziert werden“, so Prof. Dr. Gerald Huber.
Um diese spezifischen Dosierungen künftig in der Breite verfügbar zu machen – von einzelnen Wirkstoffen ebenso wie von Kombinationen –, hat DiHeSys einen einzigartigen Digitaldrucker entwickelt. „Durch 2D- und 3D-gedruckte Arzneimittel optimieren wir die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten“, so der Pharmazeut. „Das gibt es weltweit in dieser Form noch nicht.“
Starke Verbesserung der Lebensqualität von Patientinnen und Patienten
Die konkrete Anwendung der Drucker wird zurzeit bei einem Pilotprojekt am Universitätsklinikum und der Universität in Tübingen zur verbesserten Behandlung eines bösartigen Gehirntumors erprobt. Die Nebenwirkungen der herkömmlichen Therapie gegen diesen Tumor gehen mit massiven Einschränkungen für die Patientinnen und Patienten einher, darunter Erkrankungen des Nervensystems, Übelkeit und Erbrechen. Einige müssen deshalb die Therapie sogar abbrechen. „In dem Pilotprojekt wird die Personalisierung der Arzneimittel zunächst an Probanden überprüft. In einem zweiten Schritt adjustieren wir zukünftig die nötige Dosis nun für jeden Einzelnen genau so, dass er weniger Nebenwirkungen und damit eine ordentliche Lebensqualität hat“, so Prof. Dr. Huber. Bei dieser Indikation zeige sich auch der hohe ethische Anspruch des Projekts: Meist verbleibe den Betroffenen nicht mehr viel Lebenszeit. Der Einsatz der Personalisierten Medizin am Beispiel der bösartigen Tumorerkrankung zeigt jedoch nur einen winzigen Ausschnitt ihres Potenzials – für viele Krebserkrankte, die herkömmliche Therapien bereits durchlaufen haben, birgt sie die große Hoffnung auf Heilung bzw. Linderung.
Der Wirkstoff kommt als „Tinte“ auf den oralen Dünnfilm (ODF)
Wie funktioniert diese medizinische Revolution aus dem Drucker? „Beim 2D-Drucker wird der Wirkstoff in einem Lösungsmittel gelöst. Daraus entsteht eine Wirkstofflösung, die wir ‚Tinte‘ nennen“, erklärt Prof. Dr. Huber. „Diese Lösung wird auf ein Placeboblättchen aufgebracht, das Sie sich wie eine Oblate (ODF) vorstellen müssen.“ Legt sich der oder die Betroffene dies auf die Zunge, löst es sich in wenigen Sekunden auf und die Lösung wird hinuntergeschluckt. „Vom Verfahren her ist das etwas eingeschränkt, weil sie nicht jede x-beliebige Dosierung umsetzen können“, ergänzt der Fachmann. „Das hat physikalische Grenzen, die im 2D-Druck bei ca. 40 Milligramm liegen.“
Diese Grenzen gibt es beim 3D-Druck nicht: Hierbei handelt es sich um ein komplett anderes Verfahren, das eine Dosierung von bis zu 750 Milligramm ermöglicht. Bei dieser Technik wird der Wirkstoff in ein Polymer eingebettet – eine Substanz, die sich aufschmelzen lässt und wieder erstarrt. Sie wird zu einem körnigen Granulat oder spaghettiförmigen Filament („Fadenwerk“) geformt. „Darüber wird der Wirkstoff dann verdruckt, das heißt in diesem Falle erwärmt, und über eine Düse ausgeformt. Sie können die Düse so bewegen, dass Sie am Ende einen Druckkörper haben, der wie eine Tablette, ein Zäpfchen oder Pflaster aussieht“, so Prof. Dr. Huber. Ein weiteres Plus des 3D-Verfahrens: Über den Druckvorgang kann auch die Wirkstofffreisetzung gesteuert werden. So können Tabletten gedruckt werden, die ihre Wirkung zum Beispiel bereits nach einer halben Stunde oder aber über einen Zeitraum von 24 Stunden freisetzen.
Beide Druckverfahren sind sehr aufwändig, wie der Experte beschreibt: „Beim 2D-Verfahren entsprechen beispielsweise drei Milligramm eines Wirkstoffs über 1.000 einzelnen Tröpfchen. Jedes dieser Tröpfchen wird während seines Flugs von der Düse auf die Oblate fotografiert und es wird ausgewertet, welches Volumen der Tropfen hat. Die Summe jedes einzelnen Tropfens ergibt dann die gesamte Dosis. Es ist also nicht so, dass man einfach eine gewisse Menge Flüssigkeit herauftröpfelt und dann wird es schon stimmen, sondern alles ist zu 100 Prozent kontrolliert.“ Etwa 50 Prozent aller herkömmlichen Medikamente werden nicht von Menschen eingenommen, sondern landen letztlich in der Umwelt. Das Verfahren ist sehr nachhaltig, da die gedruckten Tabletten in der Regel kleiner sind, nur in der benötigten Menge hergestellt werden und daher auch weniger Lager- und Transportkosten anfallen.
Vielfältige Einsatzgebiete für personalisierte Arzneimittel
Trotz des aufwändigen Verfahrens ist der Digital-Health-Spezialist davon überzeugt, dass die Drucker in fünf bis zehn Jahren nicht nur in Kliniken genutzt, sondern in jeder guten Apotheke stehen werden. Die Vision: Patientinnen und Patienten erhalten in der Praxis ein Rezept für ein personalisiertes Arzneimittel, das ihnen in der Apotheke um die Ecke unter pharmazeutischer Aufsicht ausgedruckt wird – genau in der benötigten Stärke und Dosis. Neben der Onkologie gibt es viele weitere Einsatzgebiete, bei denen Betroffene enorm von den Lösungen der Personalisierten Medizin profitieren können: Diese reichen beispielsweise von Diabetes über Bluthochdruck und Rheuma bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Parkinson sowie der Schlaganfall-Prophylaxe. Um für die Anwendung in Apotheken, Kliniken oder auch Pflegeheimen eine korrekte Handhabung des Druckers zu gewährleisten, liefert DiHeSys nur im Komplettpaket inklusive Hard- und Software sowie der pharmazeutischen Formulierung aus. Auch eine persönliche Schulung der Apothekerinnen und Apotheker und Pharmazeutisch-technischen Assistentinnen und Assistenten vor Ort gehört dazu.
Wie die Errungenschaften der Personalisierten Medizin den Krankenkassen dabei helfen, langfristig hohe Kosten einzusparen, erläutert Prof. Dr. Huber anhand eines Beispiels aus der Nierentransplantation: „Etwa 20 Prozent der Organe gehen nach der Transplantation dadurch verloren, dass die Patienten entweder die falschen oder zu viel oder zu wenig von ihren Immunsuppressiva nehmen – also den Medikamenten, die die Abstoßung verhindern. Und deshalb wissen die Krankenkassen: Wenn wir es mit einer personalisierten Therapie schaffen, dass zum Beispiel nur noch zehn Prozent der Spendernieren abgestoßen werden, ist eine solche erfolgreiche Behandlung langfristig günstiger als eine Dialyse, die bis zu 70.000 Euro pro Jahr kostet.“
Förderung durch die Landesregierung
Über die Finanzierung innovativer Medizintechnologien unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg setzt die Landesregierung Maßstäbe in der Verbesserung der Gesundheitsversorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Zudem stärkt sie die Position des Standorts als internationaler Vorreiter bei Innovationen im Gesundheitssektor. Das DiHeSys-Projekt wurde in den vergangenen zwei Jahren vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst unter dem Dach des Forums mit mehr als einer Million Euro gefördert.
Definition: Personalisierte Medizin
Personalisierte Medizin oder Präzisionsmedizin ist eine individuelle Behandlungsstrategie mit dem Ziel, jede Patientin und jeden Patienten zielgerichtet und maßgeschneidert behandeln zu können. Dadurch werden Behandlungserfolge optimiert.