Bluthochdruck: Nichtmedikamentöse Therapie zur Behandlung von Hypertonie
Ungefähr jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet unter Bluthochdruck. Das ist nicht nur für Herz und Kreislauf gefährlich, sondern kann auch weitere Organschäden nach sich ziehen. Dabei gibt es gute Therapiemöglichkeiten. In der „Nationalen VersorgungsLeitlinie Hypertonie“, die jetzt vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin veröffentlicht wurde, sind diese nach dem neuesten Stand der Forschung zusammengefasst. Eine zentrale Säule ist dabei die nichtmedikamentöse Therapie. Welch große Rolle die Eigenverantwortung dabei spielt, zeigt das konkrete Beispiel eines der Autoren.
Bluthochdruck – arterielle Hypertonie – ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen und kann damit jeden von uns treffen: Etwa ein Viertel der Weltbevölkerung hat einen zu hohen Blutdruck, Tendenz stark steigend.1) Als Risikofaktor Nummer eins für Herz-Kreislauferkrankungen und daraus resultierende Todesfälle ist der entgleiste Blutdruck äußerst ernst zu nehmen. Denn der dauerhaft zu hohe Druck auf den Gefäßen führt nicht nur hier zu Schäden, sondern auch von Organen wie des Herzens, des Gehirns oder der Niere. Der Blutdruck wird in der Einheit „Millimeter-Quecksilbersäule“ (mmHg) gemessen. Bei Erwachsenen gilt ein systolischer Druck von mehr als 140 mmHg und/oder ein diastolischer Druck von mehr als 90 mmHg als Hypertonie – ausgenommen vorübergehende Erhöhungen, beispielsweise bei körperlicher Anstrengung. Häufig bleibt ein zu hoher Blutdruck zunächst ohne typische Symptome und wird deshalb auch als „Silent Killer“ bezeichnet.
NVL Hypertonie: Evidenzbasierte Therapie für alle
Dabei kann die Erkrankung sehr einfach – durch regelmäßige Blutdruckmessungen – erkannt und in den meisten Fällen auch wirksam behandelt werden. Neben Änderungen des Lebensstils stehen zahlreiche blutdrucksenkende Medikamente zur Verfügung, die einzeln oder kombiniert verordnet und sehr individuell angewandt werden können. Das ist zwar ein Segen für Erkrankte, es bleibt aber schwierig für Behandelnde, für die individuelle Konstellation sofort die richtige Therapie zu finden, sodass die Suche nach einer wirksamen Behandlung manchmal zunächst dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ folgt – bis Kombination von Lebensstil, Medikation und Dosis zum positiven Ergebnis führen.
Dem soll nun Abhilfe geschaffen werden, denn nach dreijähriger Bearbeitungszeit wurde vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) kürzlich die „Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Hypertonie“ – veröffentlicht. Inhalte sind Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Menschen mit Hypertonie oder dem Verdacht darauf, die evidenzbasiert sind – also auf dem neuesten Stand von Forschung und Versorgung basieren. Erstellt wurde das über 100-seitige Dokument von Autorinnen und Autoren aus 21 Fachgesellschaften sowie externen Expertinnen und Experten.
Nichtmedikamentöse Therapie ist zentrale Säule der Behandlung
Einer der Autoren ist Hans-Günter Meyer als Vertreter der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen (DAG-SHG). Neben harten Fakten wie der Medikamentenwahl, Blutdruckzielen, Therapieeinstellung oder dem Umgang mit starken plötzlichen Blutdruckerhöhungen, ist dem Patientenvertreter vor allem eines wichtig: „Als zentrale Säule wurde in der NVL die nichtmedikamentöse Therapie identifiziert, das heißt das Selbstmanagement und die Eigenverantwortung der Patienten“, erklärt er. „Anpassungen des Lebensstils sind besonders wichtig, um Anzahl und Dosis der Medikamente möglichst gering zu halten. Dazu gehören eine gesunde Ernährung, Alkohol- und Nikotinverzicht, die Beobachtung der eigenen Gesundheit durch regelmäßiges Blutdruckmessen. Und vor allem körperliche Aktivität, wann immer es geht.“
Meyer – selbst früher Bluthochdruckpatient – weiß, wovon er spricht: „Meine Probleme waren so gravierend, dass mein Arzt mir prophezeite, dass, wenn ich so weitermache, ich spätestens in ein paar Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden würde“, berichtet er. „Das war ein Schock, aber es half nichts, ich musste handeln – und zwar schnell. Ich habe dann in puncto Lebensstil ein komplettes Reset gemacht, meine falsche Ernährung umgestellt, trinke weniger Alkohol und meide Stress, wo es nur geht – und vor allem, wo er unnötig ist. Ich bewege mich viel in der Natur und bin sportlich aktiv. Plötzlich war ich für meine Gesundheit selbst verantwortlich, und das war gut so.“
Telemedizin: äußerst wirkungsvoller Behandlungsbegleiter
Völlig richtig gehandelt, wie der Patientenvertreter heute sagen kann: Er hat mittlerweile Blutdruckwerte im Normalbereich – und dies nach Arztabsprache ohne blutdrucksenkende Medikamente. Ein großer persönlicher Erfolg für ihn und Beweis dafür, wie wichtig die nichtmedikamentöse Therapie sein kann. Dass gerade Bewegung einen erheblichen Einfluss auf den Blutdruck hat, ist nicht nur eine Vermutung, sondern wurde erst kürzlich durch eine Studie mit über 70.000 Teilnehmern in Zahlen gefasst: Demnach reichen bereits wenige Minuten intensive körperliche Betätigung pro Woche in Form von kurzen Einheiten für eine sehr viel geringere Krankheitsinzidenz aus.2)
Die Änderung seiner Gewohnheiten allein war aber noch nicht alles: Da Meyer zunächst die Blutdrucksenker schlecht vertrug, wurde er am Institut für angewandte Telemedizin (IFAT) am Herz- und Diabeteszentrum NRW telemedizinisch betreut. Blutdruck-, Puls- und EKG-Werte wurden über eine Bluetooth-Verbindung regelmäßig ans Zentrum übertragen; Meyer wurde durch persönliche Coachings zu Ernährung, Stressbekämpfung, Medikation und Vitaldaten eng in der Therapie begleitet. „Schon während der Behandlung wurde festgestellt, dass ich keine Blutdrucksenker mehr brauchte, die Telemedizin war ein voller Erfolg“, sagt er.3) Diesen wollte er auch an andere weitergeben: Er wurde Patientenvertreter der DAG SHG, ist aktives Mitglied zahlreicher medizinischer Gremien und Vereine und nimmt an Forschungsprojekten teil. „Gesundheit ist kein Zufall, man muss sich selbst aktiv darum kümmern – und darf auf keinen Fall aufgeben, wenn es nicht gleich funktioniert“, sagt er.
Als Botschafter für die Telemedizin wäre es Meyer wichtig gewesen, dass dieses Thema auch Platz in der NVL findet. Dem ist nicht so – bisher: „Es gibt zwar eine gute Patienteninformation zum Selbstmanagement und ein Telemedizinkapitel, aber zum Telemonitoring und zu entsprechenden Gesundheits-Apps konnte man sich leider nicht auf Patientenempfehlungen einigen, weil hier noch die ausreichende Evidenz fehlt. Dies ist bislang nur eine Kann-Empfehlung geworden“, berichtet er. „Wir werden uns aber in einigen Monaten wieder zusammensetzen und diskutieren, was sich in der Zwischenzeit ergeben hat. Irgendwann wird dann hoffentlich auch das Telemonitoring in der Regelversorgung ankommen.“
Soziale Beziehungen als Stresskiller
Einen weiteren Punkt fügt Meyer noch im Zusammenhang von Lebensstil und Gesundheit an: Soziale Beziehungen, auch wenn sich dies noch so trivial anhört. „Kontakte mit Menschen reduzieren nachweislich Stress und beeinflussen damit den Blutdruck positiv.“4) Und er fügt noch einen persönlichen Rat an: „Macht man sich die positiven Dinge regelmäßig bewusst, reduziert dies auch Stress. Man sollte unbedingt Freude ins Leben bringen, das hat einen nachhaltigen Effekt auf die Gesundheit – oder wie Charlie Chaplin sagte: ‚Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag.‘“ Er empfiehlt auch, sich keineswegs unter Druck zu setzen: den Lebensstil nicht ändern müssen, sondern ihn optimieren können. „Schon ganz einfache Mittel wie spazieren gehen, Treppe statt Aufzug oder sich regelmäßig ein paar Minuten Zeit ganz für sich nehmen, helfen dabei, Gewohnheiten aus der Vogelperspektive zu betrachten.“
Der ehemalige Blutdruckpatient ist das beste Beispiel dafür, dass der in der NVL verankerte Punkt der nichtmedikamentösen Therapie äußerst wirkungsvoll sein kann. Seine Erfahrungen sind gefragt: Nicht nur als Gastdozent bei Vorlesungen oder als Seminarteilnehmer und Berater an Universitäten und Klinken. Auch die Einbindung in die nächste AWMFS3-Leitlinie zur Prophylaxe der venösen Thromboembolie, die von der Berliner Charité erarbeitet werden soll, steht für ihn schon an.