Bei der Personalisierten Medizin geht es um die individuell beste Behandlungsstrategie zum richtigen Zeitpunkt – im Idealfall mit der bestmöglichen Wirkung und den geringsten Nebenwirkungen. Gefunden wird diese Strategie vor allem durch die passende Diagnostik, die auf genetischer Ebene und mithilfe bildgebender Verfahren die Betroffenen findet, die zum Beispiel von Therapie am meisten profitieren würde. Vor allem bei Krebserkrankungen wird dies in der Praxis schon eingesetzt, um aus der Vielzahl möglicher Therapien die beste im individuellen Kontext auszuwählen. In Baden-Württemberg leisten die vier Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM) Pionierarbeit auf diesem Gebiet: Die Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm verfolgen gemeinsam das Ziel, Personalisierte Medizin fest in der Patientenversorgung zu etablieren. Unterstützt wird ihre Arbeit durch die gezielte Förderung im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg.
Wie die Klinikstandorte in Baden-Württemberg zusammenarbeiten
Beim Informationsabend am 6. Oktober 2022 geben mehrere Medizinerinnen und Mediziner konkrete Einblicke in ihre Erfahrungen mit maßgeschneiderten Therapien im klinischen Alltag. Professor Dr. Nisar P. Malek, Direktor der Medizinischen Klinik, Abteilung Innere Medizin I am Universitätsklinikum Tübingen und Sprecher der ZPM wird durch die Veranstaltung führen und moderieren. Aus seiner Sicht ist die übergreifende Zusammenarbeit vieler Klinikstandorte mithilfe der ZPM besonders wichtig: „Die Zentren setzen sich dafür ein, Patientinnen und Patienten Zugang zu innovativer Diagnostik und neuen, personalisierten Behandlungsansätzen zu verschaffen, wenn etablierte Therapien nicht mehr greifen.” Um das zu gewährleisten, wird eng mit bestehenden Einrichtungen kooperiert, die sich um die Versorgung etwa von Krebserkrankten kümmern. Malek: “Unser Ziel ist eine nahtlose Umsetzung des erweiterten Behandlungsangebots. Mit den Zentren können wir neue Entwicklungen aus der Forschung rasch in der Krankenversorgung anbieten.“
Was leistet ein molekulares Tumorboard für Patientinnen und Patienten?
Die Zusammenarbeit aller Expertinnen und Experten ist hierfür eine wichtige Voraussetzung, nicht zwischen den Medizinerinnen und Medizinern untereinander, sondern auch darüber hinaus, betont Prof. Ghazaleh Tabatabai, Ärztliche Direktorin der Abt. Neurologie & interdisziplinäre Neuroonkologie sowie Sprecherin des Molekularen Tumorboards am Universitätsklinikum Tübingen. Die Expertin wird bei der Veranstaltung vor allem ihre Erfahrungen im Bereich Hirntumore einbringen, aber auch die Arbeit eines Molekularen Tumorboards erläutern. “Die wesentliche Herausforderung bei der Umsetzung personalisierter Behandlungsmöglichkeiten in der klinischen Versorgung besteht darin, komplexe und hochvolumige Datensätze aus den modernen diagnostischen Verfahren mit relevanten klinischen Daten der Patientinnen und Patienten und klinischer Evidenz zu verknüpfen”, erläutert sie und ergänzt: “Hierfür sind standardisierte und qualitätsgesicherte Prozesse in der Krankenversorgung notwendig. Das Molekulare Tumorboard ist dabei ein entscheidender Dreh- und Angelpunkt. Hier werden die relevanten Informationen zusammengeführt, interdisziplinär analysiert und bewertet. So entsteht eine qualitätsgesicherte personalisierte Behandlungsempfehlung.”
Diagnostik ist ein wichtiger Baustein für maßgeschneiderte Therapien
Auch wenn Personalisierte Medizin immer auf dem Wunsch beruht, die bestmögliche Therapie für Patientinnen und Patienten nicht nur auf aufgrund der Krankheitsdiagnose, sondern auch unter Berücksichtigung der Charakteristika wie etwa Alter, Familienanamnese oder physische Konstitution zu finden, so sind es doch die Möglichkeiten der modernen Diagnostik einschließlich der Gendiagnostik, die die Entwicklung der Personalisierten Medizin maßgeblich beeinflussen. Professor Dr. Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor am Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik, Universitätsklinikum Tübingen: „Zwei Personen unterscheiden sich in mehr als vier Millionen Positionen unserer insgesamt sechs Milliarden Basenbausteine. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir alle mit unterschiedlichen genetischen Voraussetzungen für Krankheiten, aber auch für Arzneimittelansprechbarkeit und -verträglichkeit ausgestattet sind.” Diese Varianz spiegelt sich dann auch bei der genetischen Variabilität von Tumoren wider. Wenn tumorspezifische genetische Veränderungen bestimmte Stoffwechselwege der Krebszellen betreffen, dann können diese im Rahmen einer gezielten, individuellen Therapie auch als Angriffsziel genutzt werden. Rieß: “Eine umfassende Diagnostik – klinisch, bildgebend, pathologisch, genetisch – ist daher eine Voraussetzung für eine erfolgreiche zielgerichtete Therapie.“
Die Zukunft der Krebsmedizin: Produktion personalisierter Therapeutika direkt am Krankenbett
In der Podiumsdiskussion sollen dann weitere Aspekte bei der Behandlung besprochen werden. Gerade die Frage, wie die Personalisierte Medizin eigentlich direkt ans Krankenbett geholt werden kann, wird vielfach diskutiert. Eine Möglichkeit bietet der innovative Ansatz der Zelltherapien, die auch individuell produziert werden müssen. Forschende des Fraunhofer IPA in Stuttgart, des Universitätsklinikums Tübingen und des NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut in Reutlingen arbeiten unter dem Dach des Projekts “SolidCAR-T” daran, diese in standardisierter Form und mit hoher Qualität zu erzeugen. „Es geht um so genannte CAR-T-Zellen, die eine neue Art der Tumortherapie darstellen. Immunzellen des Patienten – die körpereigenen T-Lymphozyten – werden genetisch verändert und gegen den Tumor eingesetzt. Nachteil bisher; das Verfahren ist sehr kostspielig. Wir wollen die Produktion der CAR-T-Zellen zukünftig dezentralisieren: Das heißt, dass die Herstellung der Zellen am Ort der Behandlung – in der Klinik – stattfindet und nicht mehr an anderen Produktionsstandorten. Einrichtungen soll es damit möglich sein, eine Vielzahl an Zellpräparaten in schnellerer Zeit und zu geringeren Kosten selbst zu produzieren“, erklärt Dr. Christian Schmees vom NMI.
Die Veranstaltung erlaubt also einen 360-Grad-Blick auf das Thema: Wie können Patientinnen und Patienten konkret profitieren, welche Krankheitsbilder können schon gut mit maßgeschneiderten Therapien behandelt werden, warum ist das Zusammenspiel zwischen Therapie und Diagnostik so wichtig und wohin geht die Reise künftig dank Forschung und Innovation am Gesundheitsstandort Baden-Württemberg.
Begleitend zur Veranstaltung: Wanderausstellung & Digital Health Bus
Parallel macht auch die Wanderausstellung „Gemeinsam für Gesünder“ des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg vom 6. bis 10. Oktober Station im Universitätsklinikum Tübingen und wird begleitet vom Digital Health Bus der Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg. Die Wanderausstellung des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg bringt Informationen über innovative Ansätze im Gesundheitswesen zu den Bürgerinnen und Bürgern. Auf zehn Präsentationsflächen wird in Text, Grafik, Video und Audio anschaulich dargestellt, vor welchen Herausforderungen das Gesundheitswesen der Zukunft steht, welche Rolle die Digitalisierung spielt und wie in Baden-Württemberg daran gearbeitet wird, dass alle Bürgerinnen und Bürger vom medizinischen Fortschritt profitieren. (Mehr Infos zur Ausstellung und den Themen gibt es hier) Der Digital Health Bus der Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg wird ebenfalls vor dem Business Development Center Halt machen. Hier können sich Interessierte hautnah über digitale Gesundheitsanwendungen informieren und selbst aktiv werden. (Mehr Infos zum Digital Health Bus gibt es hier)
Eckdaten der Ausstellung:
- Ort: Universitätsklinikum Tübingen Crona Kliniken, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
- Öffnungszeiten Ausstellung: täglich von 8-18 Uhr
- Zugangszeiten Digital Health Bus: am 6. & 7.10.22 jeweils von 10-16 Uhr.