Mehr Personal und Digitalisierung notwendig
Internationale Fachkräfte für das Gesundheitswesen
Der Bedarf an Fachkräften in Deutschland ist hoch – gerade im Gesundheitswesen. Doch das Verfahren zur Einstellung und Anerkennung der Qualifikationen ist komplex. In Baden-Württemberg ist unter anderem das Welcome Center Sozialwirtschaft Baden-Württemberg eine Anlaufstelle für Unternehmen und Fachkräfte, um in dem Prozess zu beraten.
Der Fachkräftemangel ist ein Bremsklotz für die deutsche Wirtschaft. So fehlten laut KOFA Ländersteckbrief Baden-Württemberg1) im Jahr 2021 mehr als 51.000 qualifizierte Arbeitskräfte. Es gab damit für im Durchschnitt 39,3 Prozent aller offenen Stellen keine passend qualifizierte Person. Die meisten Fachkräfte fehlten 2021 in den Berufsgruppen Gesundheits- und Krankenpflege sowie Bauelektrik. Natürlich ist das Problem auch in der Politik angekommen. So betonte Gesundheitsminister und Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz Manne Lucha im Juni 2023 in Friedrichshafen: „Alle Beteiligten – der Bund, wir Länder und die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber – müssen intensiv daran arbeiten, dass mehr Menschen Berufe im Gesundheitswesen ergreifen und vor allem dann auch in der Branche bleiben.“
Die Gesundheitsminister der Länder waren sich einig, dass die bundesrechtlich geregelte Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen im Gesundheitswesen rechtlich vereinfacht und beschleunigt, die Attraktivität Deutschlands als Fachkräfteeinwanderungsland gesteigert sowie Visumverfahren verkürzt werden sollen. Doch was müssen Unternehmen des Gesundheitswesens überhaupt beachten, wenn sie ausländische Fachkräfte aus Drittstaaten, also Staaten, die nicht dem Europäischen Wirtschaftsraum angehören, einstellen möchten – Ausnahmen gelten für Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein – einstellen möchten?
Beratung ist das A und O
Die sogenannte Blaue Karte EU ist ein Aufenthaltstitel für Hochschulabsolventinnen und -absolventen, mit dem die dauerhafte Zuwanderung von Hochqualifizierten aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland erleichtert und gefördert werden soll. Ab November 2023 soll die Einstellung von Fachkräften aus dem Ausland durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz einfacher werden. Für die neue Blaue Karte EU wurde unter anderem die Liste der sogenannten Engpassberufe erweitert. So können bald auch in den Gesundheitsberufen „akademische und vergleichbare Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte“ von der Regelung profitieren.
Ferner wurde im Juli 2023 das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung beschlossen. Das Gesetz soll voraussichtlich im März 2024 in Kraft treten und beinhaltet, dass Pflegehelferinnen und Pflegehelfer einen Aufenthaltstitel für die Erwerbstätigkeit erhalten können. Wichtige Informationen zur aktuellen Gesetzeslage bietet unter anderem das Portal der Bundesregierung für Fachkräfte aus dem Ausland „Make it in Germany“ oder das KOFA (Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung), ein Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
In Baden-Württemberg können sich Unternehmen und internationale Fachkräfte in den Bereichen Pflege, Gesundheit und Bildung an das Welcome Center Sozialwirtschaft Baden-Württemberg mit Standorten in Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim und Freiburg wenden. Das Welcome Center unterstützt im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg und in Trägerschaft der Diakonischen Werke Baden und Württemberg sowie in Kooperation mit den anderen Landesverbänden der Liga der freien Wohlfahrtspflege (AWO, Caritas, DRK, Parität, IRG) die Akteure in der Sozialwirtschaft im Land.
„Im Grunde beraten wir die Unternehmen zu allen Bereichen im Themengebiet Fachkräfte aus dem Ausland. Das fängt an beim Thema Anwerbung, also wo und wie finde ich internationale Fachkräfte, erstreckt sich über den Spracherwerb, Anerkennung, Aufenthalt und geht hin bis zum Thema Integration. Wir decken also die ganze Bandbreite ab“, fasst Olivia Brohl-Schaffron, Leiterin des Welcome Centers, die Tätigkeit des Welcome Centers zusammen. Die erfahrene Beraterin weist gleichzeitig aber auch auf die verschiedenen spezialisierten Beratungsstellen in Baden-Württemberg hin. So gibt es sowohl in Deutschland als auch im Ausland insbesondere für Fachkräfte die Anerkennungs- und Migrationsberatungsstellen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Pro Recognition, welches in zehn Ländern (Algerien, Ägypten, Bosnien und Herzegowina (Westbalkan), Brasilien, Indien, Iran, Italien, Kolumbien, Polen und Vietnam) vor Ort Fachkräfte zur Anerkennung berät. Was man auf jeden Fall mitbringen müsse, sei Zeit. „Es geht nicht von heute auf morgen“, so die Leiterin des Welcome Centers.
Anerkennung: Defizitbescheid gibt Verfahren vor
Will eine Fachkraft im Gesundheitswesen in Deutschland arbeiten, muss zunächst Ihre Qualifikation anerkannt werden, da die meisten Berufe in diesem Fachgebiet sogenannte reglementierte Berufe sind. Das bestmögliche Ergebnis besteht in der vollen gleichwertigen Anerkennung der Berufsqualifikation (Anerkennungsbescheid), das heißt, es gibt keine Unterschiede zwischen den Bildungsabschlüssen. Das Anerkennungsportal der Bundesregierung zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen hilft hier weiter und verweist im sogenannten Profi-Filter direkt an die richtige Anerkennungsstelle im Land. Bei einem Anerkennungsverfahren als Pflegefachfrau oder -mann ist dies beispielweise das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesprüfungsamt und Anerkennungsstelle für Gesundheitsberufe.
„Fachkräfte aus Drittstaaten erhalten in der Regel keine direkte Anerkennung. Sie erhalten einen sogenannten Defizitbescheid und müssen eine Anerkennungsqualifizierung machen, entweder eine Kenntnisprüfung oder einen Anpassungslehrgang“, berichtet Brohl-Schaffron. Diese Qualifizierung könne in der Regel in einem Zeitraum von ca. drei bis zwölf Monaten absolviert werden. Für die Kenntnisprüfung gibt es beispielsweise auch Vorbereitungskurse. „Für die Fachkräfte ist der Anpassungslehrgang allerdings häufig der einfachere Weg“, sagt die Expertin. Den Rahmen dafür gibt der Defizitbescheid vor. In diesem wird aufgeführt, welche Stationen der Klinik wie lange besucht werden müssen. „Das kann individuell sehr unterschiedlich sein, denn auch die Berufserfahrung spielt eine bedeutende Rolle.“
Für eine Beschäftigung in Deutschland muss die ausländische Fachkraft zudem einen Aufenthaltstitel erhalten, für den die Zustimmung zur Beschäftigung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) erforderlich ist. Für die Zustimmung benötigt die Fachkraft einen Nachweis zum Beschäftigungsverhältnis, z. B. einen Vertrag, und den Nachweis der Qualifikation. Zudem wird die Vergleichbarkeit der Arbeitsbedingungen sichergestellt, in dem der Arbeitgeber das Formular „Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis“ ausfüllt.
„Zunächst muss sich ein Unternehmen aber überlegen, welche Ressourcen sowohl personell als auch finanziell zur Verfügung stehen, weil davon auch abhängt, welche Wege man gehen kann“, so die Beraterin. Kliniken, Pflegeheime, Kindertagesstätten und andere Einrichtungen können sich mit ihren Fragen direkt kostenlos an das Welcome Center wenden. Dabei kann es sich zum Beispiel um Tipps für das Einstellungsgespräch einer Fachkraft aus dem Ausland handeln, um Hilfe bei der Durchführung des beschleunigten Fachkräfteverfahrens oder um Fragen zu den verschiedenen Rekrutierungsprojekten.
„Für die Rekrutierungsprojekte muss man auch Personal zur Verfügung stellen, aber vor allem Geld“, erläutert Brohl-Schaffron. Eine weitere Möglichkeit ist sei es aber auch zu prüfen, ob es bereits Mitarbeitende im Unternehmen gibt, die schon einige Zeit in Deutschland als Hilfskräfte arbeiten, aber eigentlich einen anerkennungsfähigen Abschluss mitbringen, diesen aber noch nicht haben anerkennen lassen.
Schneller ans Ziel: Beschleunigtes Fachkräfteverfahren
Das beschleunigte Fachkräfteverfahren2) soll in nur sechs Schritten eine Einreise und den Stellenantritt in Deutschland möglich machen. Der Arbeitgeber benötigt für dieses Verfahren unter anderem eine Bevollmächtigung der zukünftigen Fachkraft, um den Antrag bei der lokalen Ausländerbehörde in Baden-Württemberg stellen zu können. Die Ausländerbehörde schließt für dieses Verfahren eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber, der eine Gebühr von 411 Euro für das Verfahren zahlen muss. Zur Anerkennung der ausländischen Qualifikation leitet die Ausländerbehörde alle Unterlagen an die zuständige Stelle zur Anerkennung weiter. Hier fallen ebenfalls Gebühren an. Das Prüfverfahren soll maximal zwei Monate dauern.
Nach einer Anerkennung erfolgt das Zustimmungsverfahren der Bundesagentur für Arbeit, das von der Ausländerbehörde eingeleitet wird und nach einer Woche abgeschlossen sein soll. Für die Vorabzustimmung zum Visum prüft die Ausländerbehörde zuletzt noch den Reisepass und die Sicherung des Lebensunterhalts, die durch die Anstellung gewährleistet ist. Mit dieser Vorabzustimmung zum Visum kann die Fachkraft innerhalb von drei Wochen einen Termin bei der deutschen Auslandsvertretung erhalten und das Visum (Gebühr: 75 Euro) beantragen. Eine Entscheidung soll innerhalb von drei Wochen gefällt werden, eine Garantie für ein Visum gibt es aber nicht.
Unterstützung bei der Suche: Triple Win
Um Unternehmen bei der Fachkräftesuche zu unterstützen, läuft bereits seit dem Jahr 2013 das Programm Triple Win3) zur Gewinnung von Pflegefachleuten in einer Kooperation der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit. Der Schwerpunkt der Herkunftsländer liegt bei Triple Win auf Pflegekräften aus Bosnien-Herzegowina, den Philippinen und Tunesien. Zusätzlich wird jungen Menschen aus Vietnam, die bereits Erfahrung in der Pflege haben, eine dreijährige generalistische Pflegeausbildung mit einer späteren Weiterbeschäftigung ermöglicht.
Triple Win umfasst vier Phasen: Arbeitgeberberatung (z. B. Abschluss von Dienstleistungsverträgen), Fachkräftevermittlung (z. B. Vermittlungsvorschläge und persönliche Auswahlgespräche durch Arbeitgeber), Vorbereitung vor der Einreise (z. B. ein Sprachkurs bis Niveau B 1) und nach der Einreise (z. B. Begleitung des Integrationsprozesses). Auf Grundlage des Dienstleistungsvertrags zahlt der Arbeitgeber eine Vergütung von 7.900 Euro brutto (Stand September 2021).
Die Voraussetzungen für die Teilnahme an Triple Win sind unter anderem die Bereitstellung einer Unterkunft durch den Arbeitgeber, ein Brutto-Monatslohn von mindestens 2.300 Euro vor, beziehungsweise 2.800 Euro nach der beruflichen Anerkennung. Der Arbeitgeber trägt die Reisekosten aus dem Herkunftsland nach Deutschland und unterstützt und finanziert den Erwerb der erforderlichen Sprachkompetenz (B2) und den Anerkennungsprozess in Deutschland. Explizit für den Spracherwerb werden durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg im Jahr 2023 insgesamt 1 Mio. Euro als zusätzliche Förderung zur Verfügung gestellt. Die Bewerbung für diese Förderung erfolgt über den Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit. Neben den Beispielen der bundesweiten Programme gibt es in Baden-Württemberg aber auch zahlreiche regionale Programme. Dabei können auch die regionalen Fachkräfteallianzen weiterhelfen.
Einstellungen auch intern vorbereiten
„Wenn eine Klinik das erste Mal Fachkräfte aus dem Ausland anwirbt, ist es auch wichtig, die Stammbelegschaft mitzunehmen“, sagt die Expertin. So könne möglichen Konflikten vorgebeugt werden. Viele Kliniken seien in diesem Bereich aber schon gut aufgestellt, so gäbe es Integrationsmanagerinnen und -manager, die die Fachkräfte begleiten. Neben der Integration ins Unternehmen sei aber auch die soziale Integration von Bedeutung. Dabei helfen in Stuttgart zum Beispiel Willkommenspaten.
Zu den unterschiedlichsten Themen, wie zum Beispiel „Aufenthalt aus familiären Gründen“, bietet das Welcome Center auch kostenlose Veranstaltungen an. „Das ist ein wichtiges Thema, denn manche Fachkräfte haben Partnerinnen beziehungsweise Partner und/oder Kinder und wollen diese nachziehen lassen“, so Brohl-Schaffron. „Dabei gibt es verschiedene Dinge zu beachten: Wollen die Fachkräfte die Familie direkt mitnehmen? Kann der Lebensunterhalt gesichert werden? Steht ausreichend Wohnraum zur Verfügung?“
Für die Pflegekraft selbst sei die Vorbereitung auf die Arbeit in Deutschland zudem ein weiterer wichtiger Schritt. „Pflege funktioniert in Deutschland anders als in anderen Ländern. Sowohl Ausbildung als auch Arbeit unterscheiden sich stark, denn in Deutschland wird beispielsweise in der Pflege deutlich mehr Grundpflege geleistet, die auch körperlich anstrengend ist. Enorm wichtig ist aber auch die Sprache. Man muss wirklich gut Deutsch können, denn die Voraussetzung ist ein fortgeschrittenes Sprachniveau, das Zertifikat B2.“
Wohnungssuche schwierig
Das Thema Wohnraum stellt unabhängig vom Familiennachzug ebenfalls eine Hürde dar: „Ich kenne Einrichtungen, die eine Fachkraft gerne einstellen würden, aber keinen Wohnraum finden können. Und es bringt nichts, wenn alle anderen Voraussetzungen erfüllt sind, aber die Person keinen Wohnraum hat“, erklärt Brohl-Schaffron. Wie groß der Bedarf an Wohnungen für ausländische Pflegekräften ist, zeigt die Aktivität einiger Kommunen: So läuft in Freiburg seit Juni 2023 eine Plakatkampagne mit dem Slogan „Wir brauchen PFLEGE – PFLEGE braucht Wohnraum“. Damit sollen Privatpersonen für die Vermietung von Wohnungen an Pflegekräfte gewonnen werden.
„Was tatsächlich schwierig bei uns in Baden-Württemberg ist, ist dass die Leute entweder eine Stellenzusage benötigen, um die Anerkennung beantragen zu können oder einen Beratungsschein von einer Anerkennungsberatung des IQ-Netzwerks Baden und Württemberg. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn ein Unternehmen möchte natürlich lieber eine Fachkraft einstellen, die bereits einen Defizitbescheid hat. Die grobe Reihenfolge aus Sicht der Fachkraft ist also: Deutsch lernen, auf Stellensuche gehen, Anerkennung und Visum beantragen“, empfiehlt Brohl-Schaffron.
Verbesserungspotenzial
Neben dem fehlenden Wohnraum gibt es nach Einschätzung der Expertin noch weitere Hemmnisse bei der Einstellung von ausländischen Fachkräften in Baden-Württemberg. „Es gibt zwei Probleme: Das eine ist die fehlende Digitalisierung, denn man kann den Antrag auf Anerkennung und Aufenthalt nicht digital stellen, und das merken wir schon“, so Brohl-Schaffron. „In einigen wenigen anderen Bundesländern ist das grundsätzlich schon möglich. Der Versand eines Briefes kann schon mal bis zu vier Wochen dauern, das verlängert die Zeit enorm. Das zweite Problem ist der geringe Personalstand in den Anerkennungsstellen und Ausländerbehörden. Denn wir sehen, dass die Zahl der Anträge steigt, und wenn man dann nicht die Zahl der Mitarbeitenden in den jeweiligen Stellen erhöht, wird die wichtige Prüfung der Unterlagen sehr schwierig.“