Die Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, aber wo genau Medizinerinnen und Mediziner heute tatsächlich beim Einsatz solch digitaler Technologien stehen – darüber wurde beim Auftakt der Wanderausstellung „Gemeinsam für Gesünder” am 15. September 2022 im Klinikum Stuttgart diskutiert. Wo stehen Mediziner heute beim Einsatz von KI im klinischen Alltag? Wo sind die Chancen besonders groß, die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern? Und wohin entwickeln sich neue Ansätze – auch mit Hilfe der Förderung unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg.
Mehrwert für die Patientenversorgung schaffen
Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand und Vorstandsvorsitzender des Klinikums Stuttgart, zeigte sich geehrt, dass die Wanderausstellung Station im Klinikum macht und betonte die Bedeutung des Forums für das Klinikum, das mit seinen über 2.200 Betten jährlich 90.000 stationäre Patientinnen und Patienten aufnimmt und mit rund 11.000 Primärtumordiagnosen im Olga-Klinikum pro Jahr auch als größte Kinderklinik Deutschlands gilt: „Wir sind stolz, Teil des Forums und des Netzwerks zu sein und versuchen, die Ziele auch konkret hier vor Ort zu leben: Nämlich aus patientenzentrierter Sicht einen Mehrwert für eine sichere, hochwertige und erfolgreiche Medizin zu schaffen.” Vor diesem Hintergrund sei die Suche nach Innovationen und nach Effizienzsteigerung im Kontext Patientennutzen, aber auch Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiterentlastung ein steter Prozess. „KI ist dafür nicht der einzige, aber ein wichtiger Hebel”, so Jürgensen.
In seinem Grußwort hob Dr. Hans J. Reiter, Ministerialdirektor des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, die Erfolgsgeschichte des Forums und seiner Akteurinnen und Akteure in den vergangenen vier Jahren hervor: „Die bisherigen Ergebnisse zeigen die Mehrwerte für die Entwicklung von neuen Therapien und Produkten. Digitalisierung und die Nutzung von Gesundheitsdaten sind darin ein wichtiges Zukunftsthema.” Gleichzeitig betonte Reiter, dass der vorhandene Datenschatz nicht liegen gelassen werden dürfe, sondern verfügbar sein sollte. Die in diesem Zusammenhang von der Landesregierung initiierte „Roadmap Gesundheitsdatennutzung” liefere dafür eine gute Basis und schaffe auch den Rahmen für zwei wichtige Bereiche: Die Nutzung relevanter Daten für Forschung und Innovation einerseits und die Einhaltung der Datenschutz-Vorgaben andererseits. „Wir möchten in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich von einem ermöglichenden Datenschutz sprechen”, so Reiter. Darüber hinaus unterstrich der Politiker, dass es angesichts von Big Data und der schieren Menge an Daten im Gesundheitswesen nicht nur auf die Verfügbarkeit, sondern auch deren zielgerichtete und schnelle Analyse und Auswertung ankomme. „KI eröffnet uns hierbei die riesige Chance und ungeahnte Möglichkeiten einer maßgeschneiderten personalisierten Prävention, Therapie und Nachsorge.“
Mit KI die Darmkrebsvorsorge verbessern
Wie das konkret aussehen kann, demonstrierte Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfram Zoller, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Pneumologie am Klinikum Stuttgart in seinem Impulsvortrag. Er stellte darin ein unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort gefördertes Projekt vor, das in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Würzburg durchgeführt wird. Dabei wurde die endoskopische Dickdarmkrebsvorsorge mit Hilfe von KI entscheidend verbessert. „In der Darmkrebsvorsorge ist es wichtig, kleinste Krebsvorstufen – Adenome beziehungsweise Polypen – so schnell wie möglich zu erkennen und abzutragen”, so Zoller und erläutert: „Da jede Untersuchung aber individuell ist und von verschiedenen Rahmenbedingungen beeinflusst wird, kann solch eine Vorstufe schnell übersehen werden.” Mit Hilfe von neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz können Ärztinnen und Ärzte aber inzwischen gezielt unterstützt werden. Zoller: „Unsere KI ist darauf trainiert, Polypen zu erkennen und unterstützt den untersuchenden Arzt während der Koloskopie. Die Ärztin oder der Arzt beurteilt anschließend, ob es sich um eine Krebsvorstufe handelt oder nicht und wie der weitere Therapieweg aussehen müsste.“ Über 300.000 Bild-Datensätze von Krebsvorstufen seien dafür zunächst händisch ausgewertet und anschließend in die Plattform eingeflossen, berichtete der Mediziner.
Operationsplanung vorhersagen und Ressourcen intelligent planen
Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand und Vorstandsvorsitzender des Klinikums Stuttgart, stellte weitere KI-basierte Projekte vor, die aktuell im Klinikum angewendet werden: „So wird zum Beispiel unsere OP-Planung mit Hilfe von KI organisiert und wir können fast minutengenau die Dauer einer Operation vorhersagen.” Dabei kommen Charakteristika der jeweiligen OP und des zu operierenden Patienten wie Alter, Gewicht oder Konstitution zum Tragen. „Damit können wir die Länge der Operation besser bestimmen, was wiederum die Ressourcenplanung vereinfacht und auch Verlässlichkeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schafft”, so Jürgensen. Er unterstrich aber auch: „All das ist natürlich nur durch die Verfügbarkeit der digitalen Daten möglich.“ Zudem sei KI für das Klinikum auch ein wichtiges Instrument, um die Nachhaltigkeit der Einrichtung zu verbessern. Aktuell wird das Klinikum für über 800 Mio. Euro erweitert. Dabei läuft auch in der Gebäudetechnik vieles mit Hilfe von KI – beispielsweise mit Blick auf die Raumluftsteuerung. So helfe Künstliche Intelligenz im großen Maßstab und auf intelligente Weise Energie zu sparen, so Jürgensen. Angesichts der Tatsache, dass Krankenhäuser für etwa fünf Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, sei dies von wachsender Bedeutung, sagte der Klinikchef.
Kooperationen mit Industrie und Start-ups
KI in der Medizin ist nicht denkbar, ohne eine enge und innovative Zusammenarbeit zwischen medizinischen Akteuren und Industriepartnerinnen und -partnern – darauf machte Jan Hüsing, Sales District Leader Region Mitte-Süd bei Philips aufmerksam. In seinem Impulsvortrag betonte er daher auch die Notwendigkeit für den ständigen Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren: „Die Datenmenge im Gesundheitswesen wird sich in den kommenden sieben Jahren verfünfzehnfachen. Das bedeutet, dass wir uns über die Prioritäten und Ziele einig sein müssen, die über ein reines Sammeln von Daten hinausgehen.“ Nicht zuletzt sei es wichtig, dass medizinische Lösungen wie KI sie bieten kann, im Rahmen der Nachhaltigkeit immer auf vier Eckpfeiler einzahlen: Patientenzufriedenheit, Ergebnisqualität, Wirtschaftlichkeit und Mitarbeiterzufriedenheit.
In diesem Rahmen stellte Jan Hüsing auch aktuelle KI-Projekte von Philips aus der Sequenzierung, der KI-gestützten Befundung, der automatisierten Triage im Bereich der Radiologie sowie aus der Pathologie vor.
Ein weiteres Beispiel ergänzte Jan Kirchhoff, Geschäftsführer des in Karlsruhe angesiedelten Start-ups medicalvalues GmbH. Sein Unternehmen macht sich Forschungsdaten, klinische Leitlinien und Machine Learning zunutze, um auf dieser Basis mit Hilfe von KI-Diagnosesoftware und Algorithmen für Kliniken zu entwickeln. „Aus der Analyse der verschiedenen Datenströme – etwa aus dem Labor oder der radiologischen Befundung – können wir den Ärzten auf Station oder im niedergelassenen Bereich konkrete Vorschläge zur weiteren Behandlung machen.“
Befragt zu den Herausforderungen von KI in der Medizin griffen die Teilnehmer der Diskussionsrunde Themen wie die Beschleunigung des Digitalisierungsprozesses, Datensicherheit und konkrete Anwendbarkeit heraus. „Für den zukünftigen Erfolg von medizinischen KI-Anwendungen ist es wichtig, dass es eine sinnvolle Verknüpfung und praktikable Schnittstellen mit bestehenden Kliniksystemen gibt und der Nutzen für Ärzte und Patienten konkret ist“, so Prof. Jan Steffen Jürgensen. Wie in vielen anderen Branchen sei auch auf diesem Gebiet die Förderung geeigneten Personals, das über entsprechende IT-Fertigkeiten verfügt, von großer Bedeutung.
KI entlastet und hilft, Versorgung patientenzentrierter umzusetzen
Beim Blick in die Zukunft waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, dass KI in der Medizin einen Wandel in der Prioritätensetzung herbeiführen wird. „Durch Unterstützung in der Anamnese, Diagnostik und Therapie wird das Personal zunehmend entlastet und damit die knappe Ressource Zeit geschaffen. Zeit, die es uns in der Versorgung ermöglicht, wieder patientenzentrierter zu werden“, ist sich Professor Zoller sicher. Klinikchef Jürgensen sieht neben den Veränderungen im medizinischen Bereich vor allem durch KI geschaffene Chancen im Bereich der Kliniklogistik sowie in der Steigerung von Effizienz und Effektivität. Den größten Nutzen sahen die Experten jedoch vor allem in der Möglichkeit, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Prävention von Erkrankungen in der Zukunft maßgeblich zu verbessern.
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Eröffnung der Ausstellung „Gemeinsam für Gesünder“ mit (v.l.n.r): Angelika Hensolt (SWR), Ministerialdirektor Dr. Hans J. Reiter (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst BW), Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfram Zoller (Klinikum Stuttgart), Jan Kirchhoff (medicalvalues GmbH), Jan Hüsing (Philips GmbH), Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen (Klinikum Stuttgart) © Klinikum Stuttgart
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfram Zoller,
Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Pneumologie, Klinikum Stuttgart © Klinikum Stuttgart
Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen, Medizinscher Vorstand und Vorstandsvorsitzender, Klinikum Stuttgart, im Gespräch mit der Moderatorin Angelika Hensolt, SWR Wirtschaftsredaktion © Klinikum Stuttgart
Podiumsdiskussion zu „Künstliche Intelligenz: Was KI in der Medizin leisten kann“ © Klinikum Stuttgart