„Die Personalisierte Medizin, insbesondere in der Krebsmedizin, ist beim Patienten angekommen“, betonte Professor Dr. Nisar Malek, Direktor der Medizinischen Klinik, Abteilung Innere Medizin I am Universitätsklinikum Tübingen und Sprecher der Zentren für Personalisierte Medizin in seiner Begrüßung. Möglich sei dies durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren. „Die Megatrends in der Personalisierten Medizin sind natürlich die schnelle technische Entwicklung, zum Beispiel bei der Sequenzierung, die einen preiswerten Einsatz der Technik quasi direkt am Krankenbett ermöglicht. Zum anderen sind es die großen Fortschritte in der Bildgebung und der Tumordiagnostik, die funktionelle Fragen schneller beantworten können“, so Malek. Aber um all das Wissen zusammenzubringen, sei es notwendig zusammenzuarbeiten. „Daher haben sich die Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Ulm und Tübingen in einem Netzwerk zusammengeschlossen, um präzisiere Therapien schneller zum Patienten zu bringen. Wir bilden damit die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Versorgung.“
Zentren der personalisierten Medizin: Von Krebsmedizin bis Psoriasis
Die Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM) – gefördert unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg – haben dabei schon längst Vorbildcharakter entwickelt. Mittlerweile sind bundesweit bereits 21 Krebszentren angeschlossen. „Ein Patient in Hamburg kann so unmittelbar von den Erfahrungen, die wir zum Beispiel in Tübingen gemacht haben, profitieren“, so Malek. Das ZPM weitet darüber sein Spektrum aus: „Über die Krebsmedizin hinaus konzentrieren wir uns verstärkt auf entzündliche Erkrankungen, wie zum Beispiel die Psoriasis, um Diagnostik und Therapien zukünftig stärker personalisieren zu können.“
Molekulares Tumorboard ermöglicht mehr Therapieoptionen
Bei der Personalisierten Medizin in der Onkologie geht es darum, die individuell beste Behandlungsstrategie zum richtigen Zeitpunkt, mit der bestmöglichen Wirkung und den geringsten Nebenwirkungen zu finden. „Daher spielen die Diagnostik und damit verbundene Genom-Sequenzierung eine enorm große Rolle“, unterstrich Dr. med. Pavlos Missios, Leiter der Arbeitsgruppe Posttranskriptionelle Genregulation in Metastasen der Abteilung Innere Medizin I am Universitätsklinikum Tübingen, in seinem Erfahrungsbericht. „Krebstherapien werden zwar immer komplexer. Trotzdem gelangen sie leider oft an einen Punkt, wo ein Patient als austherapiert gilt. Hier können wir im molekularen Tumorboard oft neue Hoffnungen geben. Mit Hilfe molekularpathologischer Untersuchungen und auf individuellen Biomarkern beruhende Diagnostikverfahren gewinnen wir neue klinisch-pathologische und molekulare „Biomarker“-Daten, die wir interdisziplinär mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie den an der molekularen Diagnostik und Therapie beteiligten Fächern interpretieren”, so Missios. Daraufhin werden auf den Patienten zugeschnittene, durch Studien und weitere wissenschaftliche Evidenz gestützte, personalisierte Therapieempfehlungen formuliert.
Diagnostik und klinische Studien als Grundlagen maßgeschneiderter Therapien
Maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung Personalisierter Medizin hat die moderne Diagnostik, insbesondere der Gendiagnostik. Professor Dr. Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor am Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik am Universitätsklinikum Tübingen: „Ein Tumor bzw. die Tumorzellen sind wie ein Mosaik. Die Herausforderung für uns ist, die Schwachstelle bzw. die genetischen Veränderungen des Tumors herausfinden, um darauf basierend gezielte Therapeutika einzusetzen, die eben nur die Tumorzellen, nicht aber die gesunden Zellen angreifen.“ Dazu werden unterschiedliche Technologien zusammengefasst – von der Gensequenzierung bis hin zur Bioinformatik. Rieß: „Wir arbeiten dazu mit bis zu 15 klinischen, bildgebenden, pathologischen und genetischen Softwaretools und bilden damit die diagnostische Voraussetzung einer erfolgreichen zielgerichteten Therapie.“
Doch auch wenn eine sehr differenzierte Diagnostik heute schon eine genaue Bestimmung des Tumors erlaubt, so sind am Ende die richtigen Therapien notwendig. Hier sieht Professor Dr. Dr. Ghazaleh Tabatabai, Ärztliche Direktorin der Abteilung Neurologie und interdisziplinäre Neuroonkologie sowie Sprecherin des Molekularen Tumorboards am Universitätsklinikum Tübingen, einen entscheidenden Ansatzpunkt. „Wir sehen in der Praxis öfter eine Diskrepanz zwischen Diagnostik und Therapie. Trotz unglaublich vieler Daten zum Tumor und einer genauen Analyse fehlt es zuweilen an einer wirklich zielgerichteten, systemischen Therapie“, so Tabatabai in ihrem Impulsvortrag. „Das heißt, dass klinische Studien eine immens große Rolle einnehmen werden. Wir brauchen bessere Biomarker, um früher beurteilen zu können, welche Therapien wann sinnvoll eingesetzt werden können.“ Professor Tabatabai ist überzeugt, dass die dafür notwendigen Strukturen durch die Zentren für Personalisierte Medizin gegeben sind. „Sie geben standardisierte und qualitätsgesicherte Prozesse in der Krankenversorgung vor und ermöglichen es uns, klinische Studien durchzuführen und diese auch im Prozess fortlaufend anzupassen, um so schneller relevante Ergebnisse zu erhalten, die für den Patienten nutzbar sind.“
Zukunft der Personalisierten Medizin ist abhängig von gelungener Kooperation
In der anschließenden lebhaften Podiumsdiskussion wurden weitere Aspekte der Personalisierten Medizin besprochen – von den notwendigen Ressourcen, die geschaffen werden müssen über personelle Bedarfe in den unterschiedlichen Berufsfeldern bis hin zu Fragen der fachlichen Befähigung oder Verarbeitung der entstandenen Datenmengen. Dr. Markus Templin, Leiter der Gruppe Assayentwicklung am NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen, betonte in diesem Zusammenhang, dass von verschiedenen Seiten ein Blick auf die Personalisierte Medizin geworfen werden muss. „So erarbeiten wir zum Beispiel gerade einen neuen therapeutischen Ansatz, der mit Hilfe dem Patienten entnommener und veränderter T-Zellen funktioniert und der bei systemischen Krebserkrankungen wie Leukämien gut funktioniert und in Zukunft hoffentlich auch bei soliden Tumorerkrankungen sehr vielversprechend ist.“
Einig waren sich die diskutierenden Akteurinnen und Akteure darüber, dass die Möglichkeiten des Machbaren Schritt für Schritt weiter gesteigert werden müssen. Dies sei aber nur möglich, wenn alle Partner eng miteinander kooperieren. Hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der ansässigen Industrie, die im Bereich der Diagnostik oder Therapie arbeitet, und bereits heute eng mit den klinischen Einrichtungen kooperiert und aktiv dazu beiträgt, Personalisierte Medizin schnell für Patientinnen und Patienten zugänglich zu machen. „Wir sind hier vor Ort auf einem guten Weg ein gemeinsames Verständnis unserer Ziele zu haben und konsequent umzusetzen“, bilanzierte Professor Malek abschließend.