xR-Skills-Lab
Virtuelle Welten bereichern die medizinische Fachkräfteausbildung
Virtual Reality – diesen Begriff assoziieren die meisten mit Gaming-Formaten. Ausgestattet mit Hightech-Brille und Controller, erleben die Spielenden Abenteuer in computergenerierten Wirklichkeiten. Die Möglichkeiten dieser Technologie kommen nun auch in der Ausbildung medizinischer Fachkräfte zum Einsatz. Die Trainingseinheiten zur korrekten Versorgung von Patientinnen und Patienten unter Einsatz von VR-Elementen bieten viele Vorteile.
Bei Fachkräften im medizinischen Bereich muss jeder Handgriff sitzen. Anderfalls kann es für Patientinnen und Patienten nicht nur zu schmerzhaften, sondern sogar lebensbedrohlichen Situationen kommen. Das Einüben praktischer Fertigkeiten während der klinischen Praxiseinsätze aber auch in sogenannten Skills Labs, die sich in in den Bildungseinrichtungen befinden, gehört daher zur Ausbildung in einem Gesundheitsberuf. „Diese Trainingsräume sind wie typische Settings im Gesundheitswesen eingerichtet“, erklärt Barbara Loessl, akademische Mitarbeiterin am Institut Mensch, Technik, Teilhabe (IMTT) der Hochschule Furtwangen. „Je nach Ausbildung kann das ein Klinikzimmer sein, ein OP-Saal, ein Kreißsaal, eine Notaufnahme oder ein Raum in einem Pflegeheim.“
In den Skills Labs übt der Nachwuchs der Pflege oder anderer Gesundheitsfachberufe verschiedenste Fertigkeiten ein. Spezielle Puppen stehen bereit, an denen zum Beispiel das Absaugen von Sekreten aus der Luftröhre mit künstlicher Beatmung oder das Legen eines Blasenkatheters trainiert werden kann. In anderen Fällen werden Schauspielerinnen und Schauspielern als „Übungsobjekte“ engagiert. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn es darum geht, Kommunikation mit Patientinnen und Patienten zu üben, zum Beispiel beim Abfragen der Krankengeschichte. Bei allen Trainingseinheiten in den Labs werden die Auszubildenden von speziellem Personal angeleitet und erhalten anschließend Feedback.
Der Einsatz von VR-Brillen bietet erheblichen Mehrwert
Mit dem Projekt „xR-Skills-Lab – Mixed- und Virtual-Reality Simulationen zum Lernen für Gesundheitsfachberufe“ wird dieser Lernraum nun um eine virtuelle Dimension erweitert. Wo liegen die Vorteile? Ein Beispiel: Während die Zeitfenster für Übungseinheiten in den Skills Labs rar und begehrt sind, können Lernende mit einer VR-Brille jederzeit und so oft sie möchten an jedem beliebigen Ort üben. Mit Skills Labs ist ein sehr hoher Raum-, Zeit-, Personal- und Finanzbedarf verbunden. „Ein Skills Lab mit allem Drum und Dran auszustatten, verursacht Kosten im sechstelligen Bereich“, so Loessl, die als Expertin für klinische Pflege das Projekt betreut. „Allein die High-Fidelity-Puppen, mit denen man zum Beispiel Herzinfarkte simulieren und die richtige Reaktion darauf üben kann, kosten zwischen 20.000 und 80.000 Euro.“ Eine Brille kostet hingegen zwischen 300 und 1.000 Euro.
„Ein virtuelles Skills Lab ist super geeignet zur Übung von allem, wo es um sehr strukturierte Abläufe geht“, erklärt Loessl. Ein Beispiel dafür ist die Übung einer Reanimation, wo ganz klar festgelegt ist, welche Schritte in welcher Reihenfolge durchgeführt werden müssen. VR kann ein richtiges Skills Lab also nicht ersetzen, aber gut ergänzen. Loessl erläutert ein mögliches Szenario: „Es könnte künftig so sein, dass man ein reales Skills Lab mit zwei Betten und Puppen ausstattet, die man zum Demonstrieren von Handgriffen nutzt. Aber das Üben könnte dann in anderen Räumen der Einrichtung über VR fortgeführt werden.“ Oder sogar zu Hause, sofern die Auszubildenden über eigene Brillen verfügten. Dadurch kann Zeit in den realen Skills Labs gespart werden, so dass diese mehr Studierenden zur Verfügung gestellt werden können.
Simulationen fördern das Verständnis für Patientinnen und Patienten
Ein weiterer Vorteil ist die Vielfalt an Simulationen, die über VR möglich sind und die über eine Datenbank ausgewählt werden können – auch in verschiedenen Sprachen. So ist ein weiteres gut geeignetes Einsatzgebiet für VR die Simulation der Kommunikation mit Patient:innen, wofür bisher Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert werden. Hier geht es darum, sich in eine Patientin oder einen Patienten hineinversetzen zu können, zum Beispiel bei Demenzerkrankten. „Dafür gibt es Simulationen, in denen man sich wie ein Betroffener fühlt: Man ist in einer Wohnung, in der man Sachen finden muss, sich aber unsicher fühlt und nicht weiß, wofür welche Dinge verwendet werden müssen“, schildert Loessl. Ein weiteres Einsatzgebiet sind psychische Erkrankungen, bei denen es für die Lernenden ebenfalls wichtig ist, ihr Verständnis für die Patientinnen und Patienten zu schulen.
Die Materialersparnis ist ein weiterer Pluspunkt der VR. So müssen zum Beispiel Operationstechnische Assistenten den Umgang mit vielen verschiedenen OP-Instrumenten üben. „In der Ausbildung wird Material im Wert von hunderten Euro eingesetzt, vom Tupfer über das Verbandsmaterial bis hin zu den Paketen mit chirurgischen Instrumenten, die ausgepackt und wieder sterlisiert werden müssen, bevor sie weiterverwendet werden können.“
Der Praxisanleiter wird in der virtuellen Welt zum Avatar
Die VR-Simulation bietet Lernenden zudem die Möglichkeit, Feedback zu erhalten: Bei einer Übung zur Insulingabe gibt es zum Beispiel eine Rückmeldung dazu, ob man richtig dokumentiert, das korrekte Medikament gewählt hat und im Zeitrahmen war. Der VR sind aber auch Grenzen gesetzt. „Was man schlecht abbilden kann, ist die Haptik: Wie fühlt sich ein Katheter an – oder ein Brustkorb, wenn ich drauf drücke?“, so Loessl. Hier liegt die Zukunft in der Kombination aus realer und virtueller Welt, der Augmented Reality („erweiterte Realität“): In einer AR-Welt hielte man echte Instrumente in der Hand, aber befände sich in einer virtuellen Umgebung. Ein weiteres Zukunftsszenario ist ein Praxisanleiter als Avatar, der die Teilnehmenden der Simulation durch die Übungen führt. Diese müssten sich dabei nicht im gleichen Gebäude, nicht einmal im gleichen Land befinden.
Die erste Resonanz der Studierenden, die die virtuellen Skills Labs bereits ausprobiert hätten, sei sehr gut „Gerade die Jüngeren sind mit VR durch Gaming-Formate vertraut – und finden das supercool“, sagt Loessl. „Wir haben es mit einer Generation zu tun, die sehr visuell denkt und nicht mehr nur Lehrbücher lesen will. Daher müssen wir sie auch anders schulen.“
Förderung durch die Landesregierung
Die Hochschule Furtwangen und die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sind Kooperationspartner des Projekts „xR-Skills Labs“ und Vorreiter in der Ausbildung im medizinisch-technischen Bereich. Am Projekt beteiligt ist die Firma Imsimity, ein führender Anbieter für Extended-Reality-Soft- und Hardwarelösungen aus dem Schwarzwald. Unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg finanzierte das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst das Projekt in den vergangenen zwei Jahren mit knapp einer halben Million Euro.