Drei Fragen an ...
... Prof. Dr. Oliver G. Opitz, Leiter der Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg (KTBW)
Wie finden Innovationen im Medizinbereich schneller ihren Weg in die Anwendung? Welche Rahmenbedingungen sind dafür notwendig? Und wie nimmt man die Bevölkerung beim Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen mit? Über diese und weitere Fragen haben wir mit Prof. Dr. Oliver G. Opitz, dem Leiter der Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg (KTBW) in unserem Kurz-Interview gesprochen.
Herr Prof. Opitz, die Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg (KTBW) war ursprünglich an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg angesiedelt und ist nun an den Bosch Health Campus in Stuttgart umgezogen. Aufgabe der KTBW ist es, Projekte sowie Akteurinnen und Akteure der Digitalen Gesundheit in Baden-Württemberg zu initiieren, zu vernetzen und zu koordinieren – und zwar von der Idee bis zur Implementierung von innovativen Versorgungsansätzen und KI-Anwendungen im Gesundheitswesen. Wie gelingt es, digitale Innovationen in die Patientenversorgung zu bringen? Und welche Rolle spielt der neue Standort am Bosch Health Campus beim Innovationstransfer?
Prof. Dr. Opitz: Die KTBW versucht Ansätze zu finden, schneller und effektiver Innovationen und Modellhaftes in die Anwendung und den Markt zu überführen. Um dies zu realisieren und die Potenziale der KTBW als Innovations- und Implementierungseinheit optimal zu nutzen, war es sinnvoll, die KTBW in einem innovationsnahen, gleichzeitig versorgungsrelevanten und akademischen Umfeld zu verankern. Durch eine solche Verbindung – bewusst an der Schnittstelle zu versorgungsgetriebenen Strategien – kann gelingen, was bisher in Deutschland nicht ausreichend umgesetzt werden konnte: die Effizienz der Wertschöpfungskette im Gesundheitssektor bis in die Anwendung zu verbessern, sowie innovative Prozesse, Versorgungsformen und Lösungen unter Nutzung von Digitalisierung und angewandter KI voranzubringen. Wir machen das, in dem wir Stakeholder strategisch begleiten und sie in die Lage versetzen, disruptive Ansätze im Gesundheitssektor „anzufassen“, Barrieren im System abzubauen und dafür innovative Versorgungskonzepte zu initiieren. Letztlich geht es darum, das Potenzial der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu nutzen und in der Fläche anzuwenden.
Wie kann die Umsetzung digitaler Innovationen in die praktische Anwendung beschleunigt werden? Welche Rahmenbedingungen braucht es dazu und woran fehlt es in diesem Bereich noch?
Prof. Dr. Opitz: Die potenziellen Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen sind immens. Die Digitalisierung kann Effektivität und Effizienz erhöhen, sodass die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen letztlich mehr Zeit für Patient:innen haben, diese schnelleren Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten und digitale Unterstützungsmaßnahmen sowie intelligente Datennutzung die Qualität der Versorgung insgesamt verbessern. Die bestmöglichen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche und schnelle Implementierung digitaler Innovationen im Gesundheitswesen versuchen wir gerade in einem geschützten Experimentierraum, einem Reallabor für digitale und KI-Innovationen im Gesundheitswesen (ROUTINE) gemeinsam mit Partnern zu definieren. Zu den wichtigsten Parametern für erfolgreiche Implementierungen digitaler Innovationen zählen das Arbeiten in Modellregionen zur modellhaften Umsetzung von Innovationen in der Versorgungsrealität, eine durchgehende Implementierungsbegleitung bei der Einführung digitaler Innovationen sowie bei der konkreten Umsetzung in der Praxis, eine frühe Einbindung aller relevanten Stakeholder mit Darstellung eines deutlich erkennbaren Nutzens für alle Beteiligten sowie ein kontinuierlicher Austausch mit Politik und regulatorischen Behörden, beispielsweise dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit.
Gerade wenn es um neue Technologien oder auch um die Nutzung sensibler Daten wie Gesundheitsdaten geht, ist es wichtig, die Bevölkerung mitzunehmen und zu erklären, wie die Menschen selbst von Innovationen und der Digitalisierung profitieren können. Was tut die KTBW, um die Bevölkerung über solche Themen zu informieren und ihre Digitalkompetenz zu fördern?
Prof. Dr. Opitz: Der digitale Wandel im Gesundheitswesen setzt eine aktive Auseinandersetzung der Bürger:innen mit digitalen Gesundheitstechnologien voraus. Die digitale Transformation im Gesundheitswesen kann aber nur gelingen, wenn wir es schaffen, strukturiert die Digitalkompetenz aller Stakeholder im Gesundheitswesen zu stärken. Um Patient:innen und Bürger:innen insgesamt zur Nutzung digitaler Gesundheitstechnologien zu befähigen, Ängste – unter anderem zur Datennutzung – zu adressieren und die Akzeptanz für qualitätsgesicherte Anwendungen zu erhöhen, besteht ein klarer Bedarf, alle Altersgruppen aktiv digital ‚zu alphabetisieren‘ und sie in die Etablierung digitaler Innovationen im Sinne von co-kreativen Ansätzen einzubeziehen. Die von uns entwickelten Formate sind ausgelegt auf ganz konkret erlebbare Lern- und Test-Erfahrungen, wie in unserem mobilen Erlebnisformat, dem Digital Health Truck, direkt am ‚eigenen‘ Marktplatz oder in sogenannten Showrooms zur Simulation der digital gestützten Gesundheitsversorgung von morgen. Zudem versuchen wir, durch die Qualifizierung von Multiplikator:innen aus den Gesundheitsberufen, sowie aus dem Sozialraum, beispielsweise bei Seniorenräten oder den Landfrauen, die Reichweite dieser Formate zu erhöhen.
Glücklicherweise hat das Land die Stärkung digitaler Gesundheitskompetenz aller Stakeholder im Gesundheitswesen als strategische Aufgabe erkannt und in einigen Modellvorhaben im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg, auch beispielhaft für den Bund, umgesetzt.