Drei Fragen an ...
... Professor Dr. med. Ulf Ziemann, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen an der Klinik für Neurologie und Ko-Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) am Universitätsklinikum Tübingen
Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) am Universitätsklinikum Tübingen widmet sich dem menschlichen Gehirn und dessen Erkrankungen in Forschung, Lehre und Krankenversorgung. Prof. Ulf Ziemann, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen an der Klinik für Neurologie und Ko-Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH), entwickelt aktuell gemeinsam mit seinem Team einen speziellen Helm für Schlaganfallpatientinnen und -patienten. Wie der Helm funktioniert und wie er Schlaganfall-Betroffenen helfen kann, erklärt Prof. Ulf Ziemann in unserem Interview.
Herr Prof. Ziemann, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Team am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen und mit Kolleginnen und Kollegen aus Finnland und Italien einen speziellen Helm für Schlaganfallbetroffene entwickelt, mit dem die Folgen eines Schlaganfalls gelindert werden können. Wie genau funktioniert dieser Helm?
Unser Helm wird auf Grundlage der Transkraniellen Magnetstimulation, kurz TMS, arbeiten. Dabei werden durch TMS-Spulen kurze Magnetpulse induziert und Hirnaktivität stimuliert. Das soll die Hirnbereiche bei Patientinnen und Patienten reaktivieren, die durch einen Schlaganfall betroffen sind und nicht mehr richtig funktionieren. Wir beabsichtigen, mit einer TMS-Therapie die krankhaften Hirnnetzwerke in einen gesünderen Zustand zu verschieben und so Ausfallserscheinungen, wie etwa Hand- oder Armlähmungen, zu mildern. Dieses Ziel verfolgen wir im Rahmen des vom Europäischen Forschungsrat geförderten Synergy-Projektes „ConnectToBrain“.
Wie weit fortgeschritten ist das Projekt? Was haben Sie schon erreicht und welche nächsten Schritte sind absehbar?
Wir konnten bereits mit klassischen TMS-Stimulatoren, die aus einer Spule bestehen, sehr gute Erfolge bei einzelnen Patientinnen und Patienten mit Lähmungen nach Schlaganfall erzielen. Unserer Vision – einem Stimulationshelm mit bis zu 24 TMS-Spulen – sind wir gerade eben einen großen Schritt nähergekommen. Im Augenblick richten wir den ersten Prototypen des Helms im Labor ein. Dieser besteht aus fünf Stimulationsspulen, die übereinandergestapelt sind. Jede dieser Spulen kann man einzeln entladen. Durch die Überlagerung der verschiedenen induzierten elektrischen Felder im Gehirn können wir nun räumlich sehr genau stimulieren. Wir müssen nicht mehr das Stimulationsgerät verschieben, um unterschiedliche Hirnbereiche zu erreichen. Das ist wichtig, weil höhere Hirnleistungen in räumlich ausgedehnten Hirnnetzwerken verarbeitet werden. Um krankhafte Netzwerke bestmöglich zu verändern, müssen wir sie nicht nur an einer Stelle, sondern an zwei bis drei Knotenpunkten anregen. Hierbei sind die genauen Stellen und die richtige Reihenfolge der Stimulation wichtig – und das erreichen wir am besten mit einem Helm, den man einfach aufsetzen kann. Der Prototyp zeigt, dass eine komplexe Netzwerkstimulation mit mehreren TMS-Spulen technologisch umsetzbar ist und funktioniert!
Die zweite wesentliche technologische Frage beschäftigt sich mit dem Zeitpunkt der Stimulation. Man kann sich unsere Hirnaktivität wie eine Kinderschaukel vorstellen: Je nachdem wann man sie anstößt, schwingt sie höher – oder bremst sie ab. Das gleiche gilt für unsere natürlichen Hirnschwingungen. Stimulieren wir eine bestimmte Phase der Oszillation, erreicht unser Impuls die größte Wirkung. Damit wir diesen perfekten Zeitpunkt nicht verpassen, müssen wir wissen, in welchem Zustand das zu stimulierende Gehirn sich gerade befindet. Dafür messen und werten wir die natürliche Hirnaktivität mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) in Echtzeit aus. Eine von uns entwickelte Software erlaubt es uns dann, auf die passende Millisekunde genau den Magnetpuls zu geben.
Bei beiden Entwicklungen arbeiten wir eng mit unseren Projektpartnern zusammen. Die Helmentwicklung wird im Wesentlichen von unserem Kooperationspartner, der Aalto Universität in Finnland, vorangetrieben. Die Software entwickeln Kolleginnen und Kollegen an der Universität Chieti-Pescara „Gabriele d’Annunzio“ in Italien. Hier in Tübingen bringen wir beides zur Anwendung an Probanden. Künftig wollen wir in die klinische Translation gehen und die innovative Technologie bei Schlaganfallbetroffenen einsetzen. Zeigen sich weitere Studien erfolgreich, werden wir versuchen, auch das Gedächtnisnetzwerk von Patientinnen und Patienten mit einer Alzheimer-Erkrankung zu behandeln. Wir gehen davon aus, dass praktisch alle Personen, bei denen Netzwerke im Gehirn gestört sind, von unserer Technologie profitieren können. Hierzu gehören häufige neurologische und psychiatrische Erkrankungen wie Parkinson, Epilepsien, Depressionen, Angststörungen, Schizophrenien und Suchterkrankungen.
Was ist das Revolutionäre an ConnectToBrain? Was ist Ihr Ziel bzw. Ihre Vision?
Unsere Vision ist, die Hirnstimulation zu personalisieren. Derzeit stimuliert man Patientinnen und Patienten mit einer TMS-Spule an einer Stelle des Gehirns und „blind“, d.h. ohne Kenntnis über die momentane Hirnaktivität und in der Hoffnung, dass schon das Richtige passiert. Unser Ziel mit ConnectToBrain ist eine komplexe Netzwerkstimulation an mehreren Stellen des Gehirns in Abhängigkeit von der aktuellen Hirnaktivität. Wir erwarten, dass diese Art der Therapie deutlich effektiver ist. Unser Ansatz ist damit in gewisser Weise revolutionär: Sollten wir erfolgreich sein, wird unser Vorgehen das der letzten 30 Jahre ablösen!