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Drei Fragen an...

Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg

Ob Online-Terminbuchungen, Videosprechstunden, digitale Fragebögen oder Self-Check-in-Terminals – um das Personal in Hausarztpraxen zu entlasten, braucht es innovative Lösungen. Mit dem Konzept „Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“, kurz „HÄPPI“, will der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Hausarztpraxen nachhaltig stärken, um den steigenden Versorgungsbedarf auch in Zukunft bewältigen zu können. Wir haben mit Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg, über HÄPPI, die Pilotphase und die Zukunft des Konzepts gesprochen.

Frau Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg (HÄVBW) hat gemeinsam mit der AOK und MEDI Baden-Württemberg ein neues Versorgungskonzept für Hausarztpraxen erprobt: „HÄPPI“ nennt sich das Konzept, das eine wohnortnahe, zukunftsfähige hausärztliche Versorgung für die Menschen sicherstellen soll. Was genau ist HÄPPI? Und welchen Vorteil bringt es den Arztpraxen und den Patientinnen und Patienten?

Prof. Buhlinger-Göpfarth: HÄPPI steht für „Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“ und ist ein Zukunftskonzept des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands. Ziel ist es, Hausarztpraxen nachhaltig zu stärken, um den steigenden Versorgungsbedarf auch in Zukunft bewältigen zu können. Schon heute fehlen in Baden-Württemberg rund 1.000 Hausärzt:innen und der demografische Wandel wird diesen Mangel weiter verstärken. Gleichzeitig nimmt der Behandlungsbedarf einer älter werdenden und zunehmend multimorbiden Gesellschaft zu. Mit den bisherigen Strukturen wird es nicht möglich sein, diese Herausforderung zu bewältigen – besonders die Praxen geraten zunehmend unter Druck und arbeiten bereits heute an ihrer Belastungsgrenze.

Noch bieten unsere Hausarztpraxen als engmaschiges Netz einen niederschwelligen Zugang zur medizinischen Betreuung für alle. Dieses Fundament wollen wir mit HÄPPI stärken. Durch eine gezielte Transformation der Praxen werden die Strukturen optimiert, um die hausärztliche Versorgung leistungsfähiger und nachhaltiger machen. Ein zentraler Bestandteil ist die Versorgung im Team, durch die Integration neuer Gesundheitsberufen wie Primary Care Managern oder Physician Assistants in die Hausarztpraxis. Im HÄPPI wirken diese unter hausärztlicher Supervision an der Versorgung mit und entlasten so Ärzt:innen, damit mehr Zeit für die Fälle bleibt, die medizinische Expertise brauchen. So können wir die Versorgung umfassender, effizienter und patientenzentrierter gestalten.

Auch die Digitalisierung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sie wird gezielt eingesetzt, um Praxisabläufe zu optimieren, die Teams zu entlasten und die Versorgung effizienter zu gestalten. Digitale Tools verbessern die Kommunikation mit Patient:innen und auch den anderen Akteuren im Gesundheitswesen und erleichtern den Zugang zur medizinischen Versorgung. Konkret bedeutet das: Online-Terminbuchungen reduzieren das Telefonaufkommen, Videosprechstunden ermöglichen eine flexible Versorgung und digitale Fragebögen erfassen gezielt Patientenerfahrungen (PROs). Automatisierte Prozesse wie KI-gestützte Telefonassistenz und Self-Check-in-Terminals tragen zusätzlich zur Effizienzsteigerung bei.

Ein weiteres Kernelement von HÄPPI ist die koordinierte und vernetzte Versorgung. Das Konzept baut auf der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) auf und stärkt die Hausarztpraxis als zentrale Steuerungsstelle im Gesundheitssystem. Durch eine gezielte Koordinationsfunktion werden Patient:innen strukturiert durch das Gesundheitswesen geführt, um eine bedarfsgerechte, lückenlose und effiziente Versorgung sicherzustellen. Hierzu gehören auch verbindliche Kooperationen mit zum Beispiel Fachärzt:innen, Therapeut:innen, Apotheken und sozialen Diensten.

HÄPPI ist somit eine Antwort auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der hausärztlichen Versorgung – durch interprofessionelle Zusammenarbeit, digitale Innovationen und eine stärkere Vernetzung im Gesundheitswesen. Ziel ist es, die Hausarztpraxis als stabile Säule der wohnortnahen Versorgung langfristig zu erhalten und zukunftssicher aufzustellen. Der Verband macht damit ein Angebot an die Praxen aber auch die Politik und die Versicherten zur Sicherung der Versorgung.

Die Pilotphase zur Erprobung von „HÄPPI“ wurde vor Kurzem abgeschlossen. Was haben Sie dabei untersucht bzw. erprobt, und was waren Ihre Ergebnisse?

Prof. Buhlinger-Göpfarth: Die Pilotphase von HÄPPI lief von Juli bis Dezember 2024 in zehn Hausarztpraxen in Baden-Württemberg und wurde wissenschaftlich von der Universität Heidelberg begleitet. Ziel war es, die Machbarkeit und die Skalierbarkeit des Konzepts zu testen und mehr darüber zu erfahren, was die Praxen für die Transformation zum HÄPPI benötigen.

Die Ergebnisse zeigen, dass HÄPPI in Praxen unterschiedlicher Größe erfolgreich umgesetzt werden kann – von Einzelpraxen bis hin zu großen Versorgungseinheiten. Die neuen Strukturen wurden von Patient:innen positiv aufgenommen. Gleichzeitig führte HÄPPI nicht nur zu strukturellen, sondern auch zu arbeitskulturellen Veränderungen. Klare Rollenverteilungen und eine wertschätzende Kommunikation verbesserten die Zusammenarbeit und steigerten die Arbeitszufriedenheit im Team. Mitarbeitende übernahmen mehr Verantwortung, wodurch Praxisabläufe effizienter wurden.

Die Ergebnisse zeigen: HÄPPI funktioniert und entlastet die Praxen. Bereits nach sechs Monaten konnte die Hälfte der teilnehmenden Praxen mehr Patient:innen behandeln und neun von zehn berichteten von einer spürbaren Entlastung der Hausärzt:innen.

Gleichzeitig wurde deutlich, dass HÄPPI kein Selbstläufer ist. Die Transformation erfordert gezieltes Change-Management sowie personelle und wirtschaftliche Ressourcen, insbesondere für die Prozessoptimierung. Die Evaluation zeigte, dass dieser initiale Mehraufwand in den Praxen bereits nach kurzer Zeit zu Entlastung führte. Die Praxen müssen aber für diesen Schritt befähigt werden.

Auch die Digitalisierung reduzierte den administrativen Aufwand erheblich, stellte aber gleichzeitig Praxen vor Herausforderungen. Die Auswahl und Installation eines geeigneten Praxisverwaltungssystems mit passenden Schnittstellen bereitete Schwierigkeiten.

Es zeigte sich jedoch, dass HÄPPI ein machbares, skalierbares und wirkungsvolles Konzept zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung ist, das nicht erst in ferner Zukunft, sondern direkt umsetzbar ist. Durch interprofessionelle Zusammenarbeit, gezielte Delegation und Digitalisierung werden Praxen leistungsfähiger und entlastet – ein entscheidender Schritt, um die Primärversorgung zukunftssicher zu gestalten.

Wie geht es jetzt mit HÄPPI weiter? Wie soll das Konzept konkret umgesetzt bzw. in die Fläche gebracht werden?

Prof. Buhlinger-Göpfarth: Nach dem erfolgreichen Abschluss der Pilotphase steht nun die flächendeckende Umsetzung des Konzepts an. Zunächst werden die Erkenntnisse aus der sechsmonatigen Pilotphase konzeptionell aufbereitet. Unser Ziel ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, damit jede Hausarztpraxis, die es möchte, HÄPPI werden kann. Dafür müssen wir den organisatorischen und wirtschaftlichen Rahmen schaffen.

Dieser Rahmen kann nur innerhalb der Strukturen der selektivvertraglichen Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) umgesetzt werden. In der kollektivvertraglichen Versorgung ist die Beschäftigung von nichtärztlichen akademischen Heilberufen nicht abbildbar, da im Kollektivvertrag eine Leistung nur vergütet wird, wenn Patient:innen vom Arzt gesehen wurden. So kann HÄPPI natürlich nicht funktionieren. In der HZV in Baden-Württemberg, in die bereits über 3 Millionen Menschen eingeschrieben sind, wurde der Arzt-Patienten-Kontakt bereits weitgehend umdefiniert. Zum Beispiel wird im größten HZV-Vertrag mit der AOK Baden-Württemberg der Kontakt zum Praxisteam vergütet und die Beschäftigung von akademischen Gesundheitsberufen wird mit Zuschlägen honoriert. Dadurch wird die Versorgung im Team erst möglich.

Auf dieser Basis haben wir das Konzept erprobt und darauf können wir aufbauen und werden nun mit den HZV-Vertragspartnern Wege finden, wie HÄPPI umgesetzt werden kann. Sobald die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geklärt sind, müssen wir die organisatorischen Voraussetzungen schaffen. HÄPPI zu werden ist, wie bereits beschrieben, kein Selbstläufer. Es braucht Unterstützung und Vernetzungsangebote für Praxen, die HÄPPI werden möchten. Es ist notwendig, Angebote zu schaffen, die den Praxen die Transformation ermöglichen. Mit dem HÄPPI-Workbook haben wir bereits einen praktischen Leitfaden für Hausarztpraxen erstellt, die HÄPPI werden möchten.

Ein weiterer Schritt ist die tiefergehende wissenschaftliche Untersuchung von HÄPPI. Die durchgeführte Pilotstudie war explorativ angelegt. Nun sind konfirmatorische Folgestudien notwendig, um die Ergebnisse weiter zu validieren und noch tiefgreifendere Einblicke in die Transformation zu erhalten.

Die Weiterführung von HÄPPI ist also auf mehreren Ebenen geplant. Ein Schwerpunkt liegt auf der Integration von HÄPPI in die bestehenden Strukturen der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV). Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg wird gemeinsam mit den HZV-Vertragspartnern Wege suchen, wie HÄPPI im gemeinsamen Vertrag umgesetzt werden kann. Wir sehen so eine echte Chance, den wohnortnahen niederschwelligen Zugang, zur Gesundheitsversorgung für alle aufrechtzuerhalten und sogar zu stärken.

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